CDU-Stolberg-Veranstaltung: "Wir packen das an!"
Aber dennoch: Die fünf Herren auf dem Podium klammerten sich nicht an diesen Aspekt, tauschten sich stattdessen rege aus – durchaus auch mal kontrovers, aber dabei immer konstruktiv.
Und manchmal auch sehr emotional. Wie beispielsweise Hubert Hüppe. Der 56-Jährige machte mit seinen Ausführungen schnell deutlich, dass er natürlich als Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen und als erster Fachmann von Angela Merkel auf diesem Gebiet nach Stolberg gekommen war. Doch Hüppe ist auch Vater eines heute 18-jährigen Sohnes mit Behinderung. Deshalb weiß er aufgrund seiner ganz persönlichen Erfahrungen, wie schwer der Anspruch auf Inklusion und Gleichberechtigung, der seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 ein Rechtsanspruch in Deutschland ist, in der Praxis umgesetzt werden kann.
Hüppe machte angesichts des Themenschwerpunktes des Abends zwar klar, „dass Inklusion viel mehr als nur die Schule betrifft“. Doch er nutzte die Diskussion auch zu einem flammenden Plädoyer für die Regelschule – und gegen die Förderschulen, denen er eine ganz schlechte Note ausstellte. „Der Bericht des Landesrechnungshofes beschreibt sehr deutlich, wie viele Ressourcen in den Förderschulen fast schon verschleudert werden“, so der Bundestagsabgeordnete. Ziel sei es eigentlich, dass Schüler mit besonderem Förderbedarf auf Dauer eine Regelschule besuchen könnten. „Aber ganz viele von ihnen werden im Laufe ihrer Schullaufbahn als noch stärker förderbedürftig eingestuft. Da fragt man sich doch: ‚Macht die Förderschule erst recht behindert?‘“.
Die Antwort von Georg Hermanns fiel naturgemäß negativ aus. Der Leiter der Förderschule Talstraße sprach sich für eine uneingeschränkte Wahlfreiheit der Eltern und Kinder aus, aber ganz klar auch für den Erhalt von Förderschulen. „Wenn wir irgendwann an dem Punkt kommen, dass wir keine Förderschulen mehr brauchen, dann haben wir einen guten Job gemacht. Doch im Moment brauchen wir diese Schulen noch, um dem sonderpädagogischen Förderbedarf zahlreicher Kinder vor Ort gerecht werden zu können.“ Hermanns lobte ausdrücklich die regionale Bildungsinitiative in Stolberg, der sich alle Grundschulen angeschlossen haben, und an der sich jetzt sukzessive auch die weiterführenden Schulen beteiligen wollen. „Stolberg ist da auf einem sehr guten Weg. Ich wünsche mir, dass uns eine gewisse Zeit eingeräumt wird, damit wir zum Thema Inklusion ein Konzept entwickeln können, dass die Voraussetzungen in dieser Stadt berücksichtigt.“
Ein solcher geografischer Rahmen ist Norbert Killewald allerdings zu klein. „Es muss ganz schnell ein Schulentwicklungsplan für die gesamte Städteregion Aachen erstellt werden“, forderte der Landesbehindertenbeauftragte und warnte: „Das Wahlrecht, das die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht und das auch im geplanten Schulrechtsänderungsgesetz festgeschrieben werden soll, wird die Region durcheinander bringen.“
Und nicht nur das: Das Parlament in Düsseldorf habe einstimmig beschlossen, dass das Land keine Entscheidungen über die Schließung von Förderschulen treffen werde. „Damit ist klar, dass diese Entscheidungen auf regionaler Ebene getroffen werden müssen.“ Aus quantitativen wie qualitativen Gründen, wie Killewald meinte: „Es gibt genügend Förderschulen in der Städteregion, die weit unter der eigentlich geltenden Mindestgröße liegen. Da soll mir doch niemand erzählen, dass dort noch ein hochwertiger Unterricht geboten werden kann.“
Den sieht Tim Grüttemeier allerdings auch nicht unbedingt für den Fall, dass immer mehr Förderschüler an Regelschulen aufgenommen werden. „Ich kann mir noch recht schwer vorstellen, dass es an den Regelschulen grundsätzlich gemeinsamen Unterricht geben wird. Und ich weiß auch nicht, ob das für alle Kinder das Richtige wäre“, erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stolberger Stadtrat. Er räumte zwar ein, dass sich die Debatte nicht alleine um die Finanzierung drehen dürfe. „Aber aus Sicht des Kommunalpolitikers ist das natürlich von entscheidender Bedeutung.“
Grüttemeier kritisierte den erwähnten Entwurf zur Schulrechtsänderung. „Das Wort Finanzierung kommt dort kein einziges Mal vor.“ Es werde nicht erläutert, woher die Mittel für die notwendige personelle, räumliche und technische Ausstattung der Schulen kämen, wenn diese vermehrt Förderschule aufnähmen. „Da werden wir ein Stück weit von Bund und Land alleine gelassen – wie in vielen anderen Punkten auch.“
Bei Ferdi Gatzweiler dürfte er mit dieser Feststellung auf offene Ohren gestoßen sein. Gleichwohl betonte der als Bürgermeister einer hoch verschuldeten Kommune: „Ich werde mich niemals hinstellen und das Thema in Frage stellen, nur weil die Finanzierung nicht gesichert ist. Gatzweiler zeigte sich überzeugt davon, „dass wir da eine Lösung finden werden“. Allerdings sei es vermessen anzunehmen, „dass die Fachleute es technokratisch schaffen werden, die Inklusion umzusetzen. Wir müssen es vielmehr in den Köpfen der Menschen verankern, dass das gemeinsame Leben mit Behinderten etwas ganz Normales ist.“
In diesem Sinne forderte auch Hubert Hüppe eine völlig andere Sichtweise in der Gesellschaft: „Wir müssen endlich lernen zu sehen, was Menschen können, und nicht nur, was Menschen nicht können.“
Es war das Schlusswort an diesem Abend, der zahlreiche Gedankenanstöße geliefert hatte und mit viel Applaus endete.
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