„Verwirrung gestiftet“, das sagen Hildegard Nießen und Dr. Tim Grüttemeier, hat Bürgermeister Ferdi Gatzweiler vergangene Woche mit seinem Vorstoß gegen die Deutsche Bahn in Sachen Sanierung des Mittelbahnsteigs und barrierefreien Skywalks. Er sei immer davon ausgegangen, spätestens 2015 werde mit dem Bau begonnen; nun las er in unserer Zeitung, dass das erst 2016 der Fall sein wird. Das hätte er doch längst wissen müssen, antworten Martin Sigmund und Stephan Boleslawsky, die Regionsleiter West der DB Station & Service AG in einem Brief an den Bürgermeister und unsere Redaktion (siehe Box).
Die Verwirrung zumindest bei der DB ist aufgeklärt, berichten gestern Abend Grüttemeier und Nießen, die als Vertreter der großen Koalition auf Einladung von Helmut Brandt am Vortag einem Gespräch bei Reiner Latsch teilnehmen durften. Es war eines der längst terminierten Treffen des hiesigen Bundestagsabgeordneten mit dem DB-Konzernbevollmächtigten für NRW, zu dem auch MdL Axel Wirtz als Beiratsmitglied der EVS und Aufsichtsrat des Zweckverbandes Nahverkehr Rheinland NVR geladen und sein Kollege Stefan Kämmerling unterrichtet war.
Bis Ende 2012 war die DB davon ausgegangen, dass die Sanierung des Mittelbahnsteigs mit der von ihr geplanten Unterführung erfolgen solle. Die Planung dafür war so weit gediehen, dass der Bau Anfang diesen Jahres hätte beginnen können, berichten die beiden Vertreter von SPD und CDU, die von Anfang an in die Aktivitäten am Hauptbahnhof eingebunden waren. Die Idee, dass die Stadt ein Parkhaus baut, und es mit einer Skywalk genannten und dank Aufzügen barrierefreien Überführung mit dem Mittelbahnsteig bei dessen Sanierung zu verbinden, habe nach der sehr zügigen Zustimmung durch die DB jedoch zu einem erheblichen Planungsaufwand geführt. Weniger für das Bauwerk als für dessen Realisierung unter Beachtung aller Sicherheitsaspekte bei laufendem Bahnverkehr auf einem der wichtigsten Gleisstränge im Land. „Ein Baubeginn in diesem Jahr ist nicht mehr möglich“, so Grüttemeier. Dieser könne aus technischen Gründen erst im 2. Quartal 2016 erfolgen. Selbst wenn das Parkhaus nicht gebaut würde, werde die DB einen barrierefreien Skywalk errichten. Die Planungen von Überführung und Parkhaus seien jedoch abgestimmt zwischen allen Beteiligten; die „alle davon ausgehen, dass beide Projekte realisiert werden“.
Gestattungsvertrag erforderlich
Die Zeitachse sei auch deshalb zwingend, betonte Nießen, weil die DB im Hauptbahnhof auch Oberleitungen erneuern und weitere Vorarbeiten erledigen müsse. Zur Bahnsteigsanierung werde die schäbige Unterführung geschlossen und eine provisorische, allerdings noch nicht barrierefreie Überführung zum Mittelgleis an der Hauptstrecke errichtet. Mit dem Bau des Parkhauses möchte die Stadt noch in diesem Jahr beginnen. In rekordverdächtigem Tempo hatte der NVR bereits im Juli die Zuschussfähigkeit mit 85 Prozent anerkannt. Erhofft wird ein baldiger Bescheid des Landes, so dass das Parkhaus 2015 fertiggestellt sein könnte und die übrigen Arbeiten durch die DB Zug um Zug abgewickelt werden könnten.
Voraussetzung für den Bau ist aber auch ein Gestattungsvertrag mit der DB. Von ihr hat die Stadt vor 24 Jahren das Gelände des Parkplatzes vergütungsfrei angepachtet. Der zum 31. Dezember 2020 auslaufende Vertrag regelte auch die Optionen. Beabsichtigt ist eine Verlängerung bis mindestens Ende 2043 und erforderlich eine Entschädigungszahlung – nach Informationen unserer Zeitung rund 110 000 Euro – durch die Stadt. Bereits mehrfach habe die DB der Stadt Gespräche dazu angeboten, um Einzelheiten zu erörtern. Den hat es laut Latsch bis dato nicht gegeben, weil die Stadt nicht reagiert habe. Thema war diese Frage allerdings am Rande eines parlamentarischen Abends in Berlin Ende November.
Die DB signalisiert der Kupferstadt sogar weitgehendes Entgegenkommen. Über Laufzeiten, Höhe und Fälligkeit von Zahlungen könne ebenso geredet werden wie Hilfe bei der Suche nach Zuschussquellen angeboten wird. Details sollen nun auf Sachbearbeiter-Ebene geregelt werden. Großes Interesse habe die DB an der Realisierung von Parkhaus nebst Skywalk in Stolberg, betont Latsch. Aber der Forderung des Bürgermeisters auf Verzicht einer Zahlung könne das Unternehmen leider nicht nachkommen.
„Lösung in Gesprächen suchen“
Der Bürgermeister selbst bemühte sich in einem Schreiben vom Dienstag noch einmal um Klarstellung. Die Verwaltung sei davon ausgegangen, dass nur der Skywalk erst ab 2016, andere Maßnahmen aber früher realisiert würden. Er werde sehr gerne „bei Gesprächen nach Lösungen suchen, wie das Projekt möglichst zügig umgesetzt werden kann“, so Gatzweiler.
Die DB Station & Service sagt: Bürgermeister hätte informiert sein können
Aus unserem Artikel vom 29. Oktober 2012 über den Besuch von Minister Groschek hat die DB erstmalig von den Stolberger Plänen eines Parkhauses mit Skywalk erfahren. Zu dem Zeitpunkt war die Sanierung mit Bau einer Unterführung für Anfang 2014 fest eingeplant.
Erstmalig am Runden Tisch mit der Stadt, EVS und NVR hat die Bahn am 19. Dezember 2012 die neue Variante diskutiert und auf Terminauswirkungen hingewiesen.
Beim nächsten Runden Tisch am 13. März 2013 informierte die DB, dass sie den Stolberger Wünschen folgt, damit der Baubeginn 2014 aber nicht mehr gehalten werden kann, weil die Baubetriebsplanung neu abgestimmt werden muss.
Das hat der NVR am 19. Juni 2013 bestätigt. Anschließend wurde die Baubetriebsplanung neu veranlasst. Ergebnis ist ein voraussichtlicher Baubeginn im 2. Quartal 2016, wenn die Freigaben der Verantwortlichen für die neuen Sperrzeiten vorliegen.
Beim jüngsten Runden Tisch am 21. November 2013 wurde dieser Sachverhalt den Teilnehmern dargestellt.
„Bei allen Besprechungen zum Runden Tisch waren Vertreter der Stadt Stolberg anwesend, so dass die Informationen Ihrem Hause bekannt waren und der aktuelle Zeitungsartikel unsere Verwunderung hervorruft“, so die Leiter der DB Station & Service AG Region West, Martin Sigmund und Stephan Boleslawsky, in einem Schreiben an Bürgermeister Ferdi Gatzweiler, das in Kopie auch an unsere Redaktion ging. „Wenn aus Ihrer Sicht noch weiter gehende Informationen notwendig gewesen wären, wäre es wünschenswert gewesen, wenn Sie uns direkt angesprochen hätten.“
Kommentar von Jürgen Lange (Stolberger Zeitung/Nachrichten):
Es ist nicht das erste Mal, dass es bei einem wichtigen Großprojekt derartige Reibungsverluste gibt. Erinnert sei nur an die Themen Süssendell, Wertstoffhof, Parken oder auch Innenstadt-Sanierung und Haushalt. Da werden im Rathaus die Hausaufgaben nicht voll umfänglich gemacht. Immer wieder entstehen unnötige Reibungsverluste mit Investoren oder Verhandlungspartnern. Der Betrachter gewinnt den Eindruck, dass es die Führungsspitzen der großen Koalition sind, die die Kastanien aus dem Feuer holen. Dabei müsste es doch ausreichend sein, wenn die Politik die Richtung vorgibt. In Stolberg muss aber offensichtlich die Ratsmehrheit nicht nur für die Ideen sorgen, sondern auch die Kleinarbeit leisten.
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