Stolberger Zeitung / Nachrichten: Es ist nicht nur die Regierungspräsidentin, die erhebliche Bedenken gegen die Ansiedlung von Verbrauchermärkten auf dem ehemaligen Zincoli-Gelände erhebt. Gisela Walsken hat die Stadt unmissverständlich vor die Wahl gestellt, dieses Projekt der Strabag in Münsterbusch zu realisieren oder Zuschüsse für eine Reaktivierung der Innenstadt zu erhalten.
Zustimmung für die Verfügung aus Köln kommt vom Stolberger Stadtmarketing (SMS): „Man muss der Bezirksregierung für ihre deutlichen Worte regelrecht dankbar sein“, erklärt Vorstandssprecher Patric Peters. Er selbst sei auf das Gutachten auch erst vor wenigen Wochen aufmerksam gemacht worden, auf das sich die Bezirksregierung bezieht. „Das Gutachten liegt ja schon seit Mitte letzten Jahres vor, hat aber leider nicht die Beachtung gefunden, die es sicherlich verdient hat“, sagt Peters: „Es hätte ein Aufschrei durch Stolberg gehen müssen“. Das Gutachten zeige detailliert auf, wie viel Kaufkraft aus der Innenstadt, aus Münsterbusch, aber auch den anderen Stadtteilen gezogen wird und welche Geschäfte dadurch – wörtlich – „ernsthafte Probleme“ bekommen. Nicht nur die Innenstadt würde durch das Zincoli-Projekt weiter ausbluten, auch E-Center Cevic, Lidl und Netto, die in Münsterbusch gerade erst investiert haben, würden leiden, so Peters.
Aus Sicht von SMS ist die Stellungnahme der Bezirksregierung die schallende Ohrfeige, „die wir alle verdient haben, weil wir uns nicht mit den Fakten beschäftigt haben“. Da gebe es auch nichts nachzuverhandeln, erklärt Peters mit Blickrichtung auf Bürgermeister und Ratsmehrheit. „Das Zincoli-Projekt muss gestoppt werden und darf so auf keinen Fall kommen.“ Es schade der Innenstadt, es schade Münsterbusch, und es bringe keine Vorteile, die solche Nachteile auch nur im Ansatz rechtfertigen würden.
Konsequenzen ziehen
Außerdem sollten Sätze der Bezirksregierung – wie „Es besteht der Eindruck, dass Begriffe ohne Kenntnis ihrer Bedeutung gewählt wurden“ – auch Konsequenzen in der Verwaltung haben. Wenn die Bezirksregierung der Verwaltungsspitze offen Inkompetenz vorwerfe, könnte man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müsste sich Gedanken machen, wie das habe passieren können. „Das Zincoli-Projekt gehört in jedem Fall in den Reißwolf; die Bauleitplanung muss sofort gestoppt werden“, markiert Peters die Position des Stadtmarketings.
Wie kann es passieren, dass Stolberg so die Pistole vor die Brust gesetzt werde, fragen sich Barbara und Andreas Kohler, die als Geschäftsinhaber am Steinweg und im Burg-Center wie auch als Vermieter die städtischen Planungen nicht nachvollziehen können. Einerseits wolle die Stadt barrierefreien Wohnraum im Steinweg realisiert sehen. „Doch wo sollen die Leute dann einkaufen, wenn immer mehr Geschäfte schließen werden?“, sehen die Kohlers durch das Strabag-Projekt die Versorgung der Innenstadt wie auch die in Münsterbusch in Gefahr. „Rossmann und Aldi werden schließen müssen, und dann wird es bald auch keinen Metzger und kein Café mehr geben“, ist Barbara Kohler überzeugt. Das Burg-Center habe sich langsam etabliert und werde ebenfalls einen Rückschlag erleiden. Das Projekt in Münsterbusch „ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich zu Stolberg bekennen und engagieren. So schaufeln wir uns unser eigenes Grab“, sagen Kohler. „Es ist gut, dass die Regierungspräsidentin der Stadt die Pistole auf die Brust setzt.“ Und es sei auch ein Schlag ins Gesicht für die Investitionen, die in die Nahversorgung in Münsterbusch getätigt worden sind. Lidl hat expandiert, Netto modernisiert und das E-Center biete ein interessantes Angebot, „das wir auch gerne nutzen, weil wir auf der Liester wohnen“, unterstreicht Andreas Kohler. Das Strabag-Projekt werde auch zum Todesstoß für die Nahversorger im Stadtteil.
Anstatt zur Bezirksregierung zu fahren, solle sich der Bürgermeister besser um eine Nachfolge für Victor bemühen, die Kontakte zu Rossmann und Aldi sowie den verbliebenen Einzelhandel pflegen oder sich einmal um die Ampelschaltung am Burg-Center kümmern, damit die Geschäfte erhalten blieben.
Große Erwartungen setzt dagegen die große Koalition in den Besuch von Ferdi Gatzweiler bei Gisela Walsken. „Wir haben ihn gebeten, die Regierungspräsidentin um Hilfe zu bitten, um die formalen Ansprüche auch erfüllen zu können“, sagte Dieter Wolf (SPD). Falsche Begriffe müssten geklärt und über die Situation in Stolberg noch einmal aufgeklärt werden. „Vielleicht sollte man die Regierungspräsidentin auch einmal nach Stolberg einladen, um ihr die Lage vor Augen führen zu können“, regt Dr. Tim Grüttemeier (CDU) an und wundert sich, dass sich ein Bürgermeister ein Verhandlungsmandat von der Ratsmehrheit erbittet, damit er sich um die Entwicklung seiner Stadt kümmere. Weiteren Aufklärungsbedarf sieht Grüttemeier auch in einem anderen Punkt. Erst seit dem Besuch Gatzweilers auf der Expo Real im Oktober 2012 beinhalte das Strabag-Projekt neben dem Bau- und Gartenmarkt auch weitere Einzelhandelsmärkte. Zuvor sei für den zweiten Bauabschnitt lediglich von Gastronomie, Hotellerie, Fitness- und Freizeiteinrichtungen sowie Erweiterungsflächen für das Dienstleistungszentrum die Rede gewesen.
Äpfel mit Birnen verglichen
Auch Rainer Maria Schäfer sieht den Bürgermeister gefordert, Aufklärungsarbeit bei der Bezirksregierung zu leisten. Laut Gutachten werde die Innenstadt mit maximal 3,2 Millionen Euro betroffen, sagte der Bereichsleiter der Strabag Real Estate. Viel wichtiger sei eine andere Zahl: „Ein Umsatz von 8,3 Millionen Euro wird durch unser Projekt zurück nach Stolberg geholt, das unter einem wesentlich höheren Abfluss an Kaufkraft leidet“, so Schäfer. „Davon wird auch die Innenstadt profitieren.“
Aus seiner Sicht konkurriere die Ansiedlung der Einzelmärkte in Münsterbusch keineswegs mit den Bemühungen der Stadt zur Wiederbelebung der Innenstadt. „Diese haben doch mit Einzelhandel nichts zu tun“, verweist Schäfer beispielsweise auf die Bemühungen zur Schaffung von barrierefreiem Wohnraum im Steinweg oder den Abriss von Bausubstanz, damit der Vichtbach leichter gesehen werden kann. „Da werden Äpfel mit Birnen verglichen.“ Denn Fläche für eine Ansiedlung von zeitgemäßem, großflächigem Einzelhandel nebst der Anzahl der erforderlichen Parkplätze, den habe die Stolberger Innenstadt einfach nicht zu bieten.