„Volkstrauertag“ hieß der gestrige Tag offiziell. In Stolberg hätte er auch „Antikriegstag“ heißen können. Egal ob Bürgermeister Tim Grüttemeier bei der Gedenkstunde im Ratssaal am Mikrofon stand, oder ob es Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums waren: Alle Redner bezogen eindeutig Position.
Gerade der Vertreter der Bundeswehr, Oberstleutnant Hagen Strunk aus Aachen, nahm in seiner Ansprache eine sehr differenzierte Haltung ein. Strunk, der im vergangenen Jahr zum wiederholten Male einen Afghanistan-Einsatz absolvierte, warf einen genauen Blick auf lodernde Konflikte wie den im Osten der Ukraine und stellte fest: „Extremes Gedankengut und Engstirnigkeit sind immer die Ursachen. Denn Konflikte beginnen immer im Kopf.“ Und die Schlussfolgerung des Offiziers lautete: „Vielleicht müssen wir uns eingestehen, dass es nicht für jeden Konflikt eine saubere Lösung gibt.“
Im Vergleich zu Strunks sehr nüchternen und illusionslosen Rede – emotional wurde der Gastredner nur da, wo es um sein Verhältnis zu Afghanistan und den Afghanen ging – begegneten die jungen Frauen und Männer aus dem Goethe-Gymnasium den bewaffneten Auseinandersetzungen in der Geschichte auf einer sehr persönlichen, gleichwohl im Bereich des Historischen angesiedelten Ebene: Der Opa, der während des Zweiten Weltkrieges in den Niederlanden seine spätere Frau kennenlernte, die Schülerin, die von Bunkern an der Nordsee zum Nachdenken angeregt wurde. Sie und die anderen Gymnasiasten schafften es, mit ihren Geschichten die Geschichte konkret werden zu lassen und dadurch ihre Zuhörer zu berühren – sehr zur Freude von Lehrer Philipp Pletsch und Direktor Bernd Decker, die mit ins Rathaus gekommen waren.
Bürgermeister Tim Grüttemeier machte bei der vom Männergesangverein Büsbach unter der Leitung von Josef Otten und dem Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr Stolberg musikalisch umrahmten Gedenkstunde den Ersten Weltkrieg zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und steckte den Rahmen dennoch weiter: „Vor 100 Jahren begann das erste Kapitel des europäischen Bruderkrieges“, stellte er fest und fügte hinzu: „Die Überlebenden können nur fassungslos auf die Geschichte blicken.“
Gerade deshalb sei das Gedenken wie das am gestrigen Sonntag wichtig: „An seiner Bedeutung hat der Volkstrauertag nichts verloren.“ Die Aktualität sei mit Händen zu greifen: „Der Krieg ist nicht verschwunden, und das Leid ist nicht verschwunden.“ Und weiter sagte Grüttemeier: „Überall können wir sehen, was passiert, wenn der Nationalismus die Menschen aufstachelt.“ Darum nahm der erste Bürger der Kupferstadt die Menschen im Saal, darunter Vertreter von Politik, Vereinen und Feuerwehr, in die Pflicht: „Es ist unsere Verantwortung, dass Kinder und Jugendliche diese Lektionen nicht vergessen.“
Quelle: Stolberger Zeitung / Nachrichten